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Sonntag, 22. Februar 2009

Nur die Harten kommen in'n Garten? Estomihi Reihe I, 22.02.09

Text: Markus 8,31-38

Liebe Gemeinde!

„Ihr werdet schon sehen, Weihnachten werde ich nicht mehr erleben! Da bin ich längst tot!“ „Ach Mutter, was du schon wieder hast! Wir feiern noch oft Weihnachten zusammen und jetzt lass mich mal meine Arbeit machen!“ So oder ähnlich kenne ich ihn, den Dialog zwischen altgewordenen Müttern und ihren oft längst erwachsenen Töchtern, manchmal auch Söhnen. Denk doch nicht immer so negativ, sterben müssen wir alle mal, aber doch nicht jetzt! Das passt gerade nicht, läuft doch gerade alles so gut, außerdem ist der Urlaub schon gebucht. Davon will ich jetzt nichts hören! Davon, dass der Mensch, der mir wichtig ist, bald nicht mehr sein könnte. Davon, dass alles auch ganz anders sein kann als jetzt, wo es gerade doch so gut läuft.

Ein bisschen erinnert mich die Szene zwischen Jesus und Petrus an solche und ähnliche Gespräch aus dem Alltag. Gerade noch lief alles so gut. Jesus ist der Superstar, der viertausend Leute praktisch aus dem Nichts satt gemacht hat, der einen Blinden geheilt hat. Und Petrus hat’s kapiert und laut gesagt: „Du bist der Christus!“ Du bist der, auf den wir sehnsüchtig warten, du bist der, der uns zeigt, wie Gott wirklich ist. Alles läuft bestens - und Jesus ist der Spielverderber, der die tolle Stimmung kaputtmacht. Er fängt an davon zu reden, dass er verfolgt wird und dass er sterben wird. Petrus will das alles nicht hören. „Geh weg von mir, Satan!“ So spricht Jesus mit Petrus. Harte Worte. Gerade eben war Petrus noch der, der wirklich alles kapiert hat - und jetzt ist er der Satan! Wenn ich mir vorstellen würde, mit mir würde ein Freund, mit dem ich es doch nur gut gemeint habe, so reden - ich würde vor Wut abziehen und überlegen, wie ich ihm eins auswischen kann. Mir fällt es schwer, zu verstehen, warum Petrus so ruhig bleibt und warum Jesus so hart mit Petrus redet.

Vielleicht hängt das ja damit zusammen, dass wir bis heute eigentlich wie Petrus sind. Wir wollen die schöne und strahlende Seite im Leben sehen. Und gerade bei den Menschen, die uns wichtig, bei Freunden und noch mehr bei Vorbildern, zu denen wir aufsehen, da blenden wir alles, was nicht ins Bild des Schönen und Starken passt, leicht aus. Vielleicht sogar gerade im Glauben an Gott. Wenn es Gott gibt, dann muss er doch für das Schöne, Starke, Gesunde verantwortlich sein. Jesus, der Held, der Menschen satt und gesund macht.

Aber wenn es Gott gibt, dann werde ich doch mit der Zeit verrückt, wenn ich ihn nur mit dem Schönen und Starken in Verbindung bringe. Gott, wo bist du? - Diese Frage stellt sich im Leben mindestens so oft wie der Gedanke, dass es den guten und starken Gott gibt. In Jesus hat Gott deutlich gemacht, dass er vor dem Leid und dem traurigen nicht wegläuft. Er ist eindeutig auf der Seite der Opfer. Gott, wo bist du, wenn Kinder vergewaltigt werden, wenn Menschen verhungern, wenn andere gemobbt werden, wenn in Familien geprügelt wird? Mir bleibt als Antwort nur: an der Seite der Opfer. Da, wo ein Mensch geschlagen, vergewaltigt, vernichtet wird, da wird auch Gott misshandelt. Gott nimmt sich die Freiheit, auch ohnmächtig zu sein. Er lässt nicht leiden, sondern er leidet mit. Er stellt den Menschen vor die Folgen seiner Freiheit. Er entlässt uns Menschen nicht aus unserer Verantwortung für Hass, Gewalt, Zerstörung. Gott degradiert den Menschen nicht zu einer willenlosen Marionette. Freiheit - sie gibt es nur um den Preis des Missbrauchs. Gott stiehlt sich nicht davon, er steht auf der Seite der Opfer. In einer Zeit, in der das Wort „Opfer“ immer öfter nicht Mitleid hervorruft, sondern zum Schimpfwort wird, mehr als je zuvor eine Provokation.

Eine Provokation wie der Aufruf Jesu, sich selbst zu verleugnen und sein Leben nicht erhalten zu wollen. Vor 10 Tagen wurde an den 200. Geburtstag von Charles Darwin, dem Begründer der modernen Evolutionstheorie, erinnert. Es gibt Christen, die die Lehre, dass Leben sich langsam entwickelt und nicht von Gott unverrückbar und unveränderlich geschaffen wurde, ablehnen. Ich gehöre nicht dazu. Als Christ muss man die Evolutionslehre nicht ablehnen. Aber es gab und gibt immer wieder Menschen, die aus dieser Theorie den Schluss ziehen, dass Werte wie Mitmenschlichkeit, Toleranz, Solidarität und Hilfe nur dann nützlich sind, wenn sie den Stärksten dienen. Der Starke allein habe das Recht, sich durchzusetzen. „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren“ - Wer sich selbst für stark genug hält, allein durchzukommen, wem die Opfer, die er auf seinem Weg hinterlässt, egal sind, der wird nicht durchkommen. Jesus hat ein ganz anderes Programm. Gegen Gewalt und Überheblichkeit. Ich war in der vergangenen Woche in Tschechien. In einem Land, in dem die Unmenschlichkeit solcher Selbstüberheblichkeit vielfach zu Greifen ist. Unendlich traurig stand ich in Lidice, einem Ort, an dem ein Dorf von den Nazis aus Rache für einen Anschlag auf denn SS-Mann Heydrich im wahrsten Sinn des Wortes platt gemacht wurde. Alle Männer, über 180 Personen, wurden vor Ort erschossen, die Frauen zur Zwangsarbeit verschleppt, ein Drittel davon starb. Von den 90 Kindern im Ort überlebten 7, die anderen wurden vergast. Die Nazis, die sich als Über- und Herrenmenschen begriffen, sind trotz aller Brutalität und Gewalt gescheitert. Gott sei Dank. Und auch die Kommunisten, die Menschen, gerade auch Christen, unterdrückten, weil sie glaubten, sie hätten den Schlüssel zum wahren Menschsein, haben nicht den Sieg davon getragen. Und heute sieht man weltweit, dass die Jagd nach Geld und wirtschaftlicher Stärke, die den materiellen Gewinn als vorrangiges Ziel sieht, zum Scheitern verurteilt ist. Wo Menschen sich selbst als übermäßig stark sehen, wo sie sich selbst und ihr Leben um jeden Preis erhalten wollen, wo Opfer billigend in Kauf genommen werden, da ist das Scheitern vorprogrammiert.

Selbstverleugnung, von der Jesus hier redet, heißt nicht, unendliche Leidensfähigkeit zu haben und sich selbst künstlich klein und schwach zu machen. Es heißt aber, sich frei zu machen von dem gnadenlosen Zwang zur Selbstverwirklichung. Du musst originell sein, du musst einen tollen Beruf, eine tolle Wohnung, eine tolle Familie, viel Geld und dauernd viel Spaß haben, du musst glücklich sein. Sonst bist du nichts wert. Du musst das schaffen. Du musst dich zu etwas Besonderem machen! So wird es uns allen heute immer wieder eingehämmert. Du musst dich Besonders und unverwechselbar machen! Sonst bist du nichts wert. Was für ein Stress. Übrigens auch in der Kirche, da muss man sich nur mal Forderungen und Konzepte von Kirche ansehen, auch von Freikirchen. Die Botschaft Jesu ist eine andere: Du bist schon was Besonderes. Du bist schon unverwechselbar. Du musst dich nicht dazu machen. „Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich“ - der darf auch mal schwach sein, der muss nicht immer den Helden markieren und sich als Supermann und Superfrau präsentieren. Nicht als unfehlbare Kirche und nicht als freie Gemeinschaft, die allein weiß, was richtig ist. Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich. Ich denke da nicht nur an spektakuläre Märtyrer, ich denke auch an die Frauen und Männer zum Beispiel in der Sowjetunion, die trotz aller Widrigkeiten ihren Glauben nicht verloren haben, sich zu Gebeten getroffen haben, getauft haben. Ich denke an Jugendliche, die auch mal Kompromisse schließen, die hilfsbereit sind, auch wenn sie von anderen dafür ausgelacht werden, die nicht sofort fragen: „Was bringt’s mir!“ Klar, mit Jesus und seinem Tod am Kreuz und seinem Leiden hat das erstmal wenig zu tun. Aber es geht ja gerade nicht darum, ihn nachzuahmen, so zu tun als könnte ich als Mensch das tun, was Gott in ihm und durch ihn getan hat. Nachfolge statt Nachahmung, das ist sein Programm. Es kommt in der Nachfolge darauf an und es ist ihr Ziel, der Seele keinen Schaden zuzufügen. Es fügt der Seele Schaden zu, wenn einem eingeredet wird, wirklich frei bin ich nur, wenn ich möglichst reich bin, möglichst ungehemmt Sex haben kann und andere möglichst geschickt übers Ohr haue um oben zu stehen. Es fügt der Seele aber auch Schaden zu, wenn ich glaube, mich ständig klein machen zu müssen, wenn ich mich immer nur nach hinten stelle und mir einreden lasse, nicht gut genug zu sein. Und es fügt der Seele Schaden zu, wenn eine Gesellschaft gewalttätig ist. Weil sie die Menschen aufteilt in wertvolle und weniger wertvolle, weil sie ungerechte Verhältnisse zementiert. Die Freiheit, die Gott uns schenkt, ist die Freiheit, auch zur eigenen Ohnmacht zu stehen und dadurch die eigenen Stärken entdecken zu können. Die Freiheit, die Gott uns schenkt, ist die Freiheit zur Nachfolge, die auch den in den Blick nimmt, dem Rechte und Freiheit genommen wird und die Freiheit, sich dort für andere einzusetzen, wo sei es selbst nicht können und ich es kann. Die Freiheit, die aus der Gnade und Vergebung wächst, die Gott uns schenkt.

Amen.

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