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Samstag, 19. Februar 2011

Erich-ERich-erICH-ERICH - Unnützer Knecht? Septuagesimae, 20.02.2011, Reihe III

Text: Lukas 17,7-10
Liebe Gemeinde!
So, jetzt sprechen wir das alle noch einmal gemeinsam: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Absurd, oder? Reicht es nicht, im Alltag immer wieder zu erleben, dass ich als Mensch nicht so viel wert bin? Als altgewordener Mensch – „Was willst du eigentlich? Du kostest doch nur Geld, sei froh, dass du eine Rente hast! Operationen werden langsam zu teuer, Pflege ist zu teuer, besser, du trittst bald ab.“ So deutlich wird es selten gesagt. Aber in einer Gesellschaft, in der es vor allem um wirtschaftliche Verwertbarkeit von Menschen und ihren Fähigkeiten geht, kommen solche Gedanken auf. Sie sind schon längst da. Auch bei Schülern: „Du bist was wert, wenn du einen guten Realschulabschluss oder mehr schaffst, mit den anderen kann man ja doch nichts anfangen.“ Das wird sogar noch offener gesagt als das mit den alten Menschen. Und Studenten: „Selber schuld, wenn ihr kein Prädikatsexamen macht und nichts studiert, was die Wirtschaft braucht! Für solche Studiengänge sollte man eigentlich die Mittel weiter kürzen.“ Und selbst wenn man arbeitet, Steuern zahlt, gesund ist: Dafür Dank zu erwarten, das wäre doch zuviel! Ist doch selbstverständlich! Also: In der Kirche wie im Alltag: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Will Jesus die Menschen, am Ende eben auch uns, klein machen, damit wir ja nicht zu viel Selbstwertgefühl entwickeln? Ist es wirklich so, dass Erich eigentlich der wahre christliche Vorname ist: großes ER, kleines ich?
Genau so ist das, was Jesus hier erzählt, immer wieder verstanden und gepredigt worden: Als Christ hast du die Pflicht zu dienen, und selbst das schaffst du als unnützer Knecht ja noch nicht mal richtig! Also erwarte bloß kei-nen Dank dafür, sondern tue deine Pflicht und halt den Mund!
Ich glaube, dass diese Art, das, was Jesus hier sagt, auszulegen, nicht richtig ist.
Jesus erzählt immer wieder auf seinem Weg zu den Menschen und mit ihnen vom Alltag der Menschen. Das macht er auch hier. Und er bringt diesen Alltag der Menschen mit dem in Verbindung, was Gott mit ihnen vorhat, mit dem, was er selbst Reich Gottes nennt. Und das ist anders als die Welt, die wir vor Augen haben. Es ist keine Fortsetzung von dem, was wir kennen. Alltag ist das, was Jesus hier erst einmal in Fragen den Menschen vorstellt, die ihm zuhören: Welcher Chef, welcher reiche Mensch, der es sich leisten kann, das andere für ihn arbeiten, würde den Knechten, den einfachsten Arbeitern, nach einem anstrengenden Arbeitstag sagen: Genug gearbeitet, kommt zu mir, wir ruhen uns zusammen aus? Jesus sagt die Antwort nicht, oder besser: er sagt sie wieder in Form einer Frage. Ist es nicht so, dass der Knecht weiterarbeiten müsste, Essen machen, erst den Chef zufrieden stellen, und danach dann Feierabend hätte? Ich glaube, dass die Zuhörer von Jesus ihm entweder im Stillen oder laut zugestimmt haben. „Ja, so ist es, ist doch normal! Und der Chef wäre doch verrückt, wenn er dem Knecht für das, was dessen Pflicht ist, danken würde!“ So ist der Alltag, wahrscheinlich bis heute, auch wenn die Chefs heute nicht mehr reiche Bauern sind, sondern Geschäftsführer, Lehrer, vielleicht auch Pfarrer. Arbeiten, Überstunden machen, Pflicht erledigen. Nicht geschimpft ist gelobt genug! Jesus erzählt das hier aber, wie gesagt, nicht, um die Leute runterzuziehen und ihnen zu zeigen, wie schwer ihr Alltag ist, sondern um ihnen was von Gott zu sagen. Und ich glaube, dass er die Leute für intelligenter hält, als wir das manchmal tun. Er setzt ihnen nicht immer die Antworten vor, sondern lässt sie Antworten auch selber finden. Und deshalb glaube ich, dass der wichtige Punkt in diesen Fragen von Jesus das Nachdenken ist. Ja, so ist das im Alltag – aber bei Gott, und durch ihn bei Jesus, ist das doch ganz anders! Gott ist, mal ins Unreine gesprochen, ein verrückter Chef. Das zeigt er in Jesus. Der ist sich nicht zu schade, sich die Schürze umzubinden und seinen Jüngern die Füße zu waschen. Der geht zu den Kranken, zu den Ausländern, zu den Prostituierten, zu den Betrügern. Der wartet nicht drauf, dass andere ihm dienen, sondern er fängt mit dem Dienen an. In einem meiner liebsten Weihnachtslieder „Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich“ wird das besungen. Natürlich bleibt Gott der Chef, „in seinem höchsten Thron“, wie es in der ersten Strophe heißt. Aber in der dritten Strophe heißt es: „Er äußert sich all seiner G’walt, wird niedrig und gering“ und in der fünften sogar: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein!“Ich glaube schon, dass das ein Punkt ist, den Jesus mit seinen Fragen deutlich machen will. Die, die ihm zuhören, können merken: „Moment mal! Bei dir, bei Gott, da geht es anders zu als in unserem Alltag!“ Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Erlösung für die vielen. So beschreibt Jesus seinen Auf-trag. So verrückt ist dieser Chef, dass er nicht nach der wirtschaftlichen Logik, dass er den größten Gewinn aus seinen Leuten herausholen sollte, handelt, sondern dass er so frei ist, Rollen zu tauschen und denen, die klein, arm, bedürftig sind, denen, die sich zu Tode schuften, Erlösung anbietet. Bei Gott geht es anders zu als in der Schule, im Betrieb, in der Landwirtschaft, in der Politik. Da ruft der Chef dem Knecht zu: „Komm, ruh dich bei mir aus! Komm zu Kräften, du musst dich nicht für mich zu Tode schuften. Ich will, dass du lebst!“
Ja, so schön kann Bibel sein. Ich bin zufrieden. Viel-leicht die Gemeinde auch. Und dann steht da doch im-mer noch der Satz, den wir sagen sollen: Wir sind unnüt-ze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. Der Predigttext, das, was Lukas erzählt, hört lei-der nicht nach den Fragen auf. Es bleibt diese ärgerliche Aufforderung, zu bekennen, dass ich selbst nur ein un-nützer Knecht bin.
Ich glaube, dass dieser Satz zwei Seiten hat. Die eine Seite ist die, dass wir eben nicht Gott sind, sondern im Vergleich mit ihm einfache Arbeiter. Aber Gott ist eben der verrückte Chef. Obwohl wir eigentlich ganz und gar nichts Besonderes sind und keine tollen Leistungen und Verdienste haben, verhält er sich anders, als Menschen es von Chefs gewohnt sind.
Die andere Seite ist, glaube ich, die, die uns vor unserem allzu menschlichen Egoismus warnen will. Wenn ich als Knecht plötzlich zum Herrn werde, wenn ich eingeladen werde, mich an den Tisch des Herrn zu setzen, dann ist die Gefahr groß, dass ich mich schnell daran gewöhne und mich als Herrn sehe. Als Schüler bin ich vielleicht der Meinung, dass der Lehrer zu viel rumbrüllt, zu viele Aufgaben gibt, zu schnell mit Strafen bei der Hand ist. Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass Schüler, die dann mal die Rolle wechseln sollten, ganz schnell das Verhalten übernommen haben, das sie vorher ganz blöd fanden. Funktioniert in vielen Bereichen. Mancher radikale Student hat sich zu einem ganz konservativen Chef entwickelt und gerät schon in Wut, wenn linke Studenten an seinem im Südviertel geparkten Mercedes den Stern abreißen. Es gibt einen Spruch, ich weiß nicht, von wem er stammt: „Wer mit 20 kein Kommunist war, hat kein Herz und wer mit 40 immer noch einer ist, keinen Verstand!“ Ich glaube, dass es wirklich schwer ist, nicht der Versuchung zu erliegen, eigene Macht gegen andere auszunützen. Wenn plötzlich Freiheit, wenn plötzlich Macht da ist, neigen wir Menschen viel zu oft dazu, sie nicht im Sinne Jesu zu gebrauchen und anderen Freiheit und Aufatmen zu schenken, sondern vor allem den eigenen Vorteil zu sehen. In allen Bereichen. Das gibt es auch in Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften, die sich auf Jesus berufen. Ich glaube, dass die Spitze in dieser Aufforderung Jesu nicht heißt: „Bleibt klein!, sondern: „Haltet Maß und missbraucht eure Macht und Freiheit nicht!“
Und ich glaube, dass es vielleicht noch eine dritte Seite in diesem anstößigen Satz gibt: „Du kannst dir keinen Sonderplatz bei Gott verdienen, auch durch noch so tolle und christliche Leistungen nicht!“ Leben als Christ, Leben mit Jesus ist keine Leistungsschau, bei der Ehren-plätze, Verdienstkreuze und Belohnung winken.
Ich höre diese Worte Jesu so: Entdecke deine Freiheit, Mensch zu sein. Nicht über anderen, sondern mit ande-ren. Lass dich in dieser Freiheit verpflichten: dir gegen-über, den Menschen gegenüber, Gott gegenüber. Schen-ke das verrückte, das Gott dir schenkt, die Gelegenheit zum aufatmen, die Chance, bei ihm sein und sich stärken zu dürfen, weiter. Verpflichte nicht andere zuerst, dir zu dienen, sondern sei zum Dienst bereit: an der Mensch-lichkeit, in der Menschheit, der Gottes Liebe gilt. Und denke daran: der verrückte Chef, den du dabei hast, ist nicht der, der will, dass du bis zum Umfallen arbeitest, sondern der, der will, dass du bei allem Denken und Handeln zu dir selber findest, denn seine Liebe gilt dir.
Amen.

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